Was ist traditionelles Karate?
Oft höre ich in Gesprächen mit anderen Karateka „Wir betreiben das traditionelle Karate!“. Früher hat mich so eine Aussage auf die berühmte Palme gebracht, heute entlockt sie mir nur ein Lächeln. Damit möchte ich den traditionellen Karateka nicht zu nahe treten, keinesfalls! Schließlich betrachte auch ich mich als Schüler einer sehr traditionellen Kampfkunstlinie! Aber das im Sinne des heute bekannten Werbeslogans „Tradition bedeutet für uns die Weitergabe der Flamme, nicht die der Asche“.
Ich lächele heute nur deshalb über eine solche Aussage, weil sie leider zu oft von Menschen benutzt wird, ohne den Hintergrund ihrer eigenen Linie zu kennen, und ohne die Bedeutung des Begriffes „traditionell“ in Zusammenhang mit „Karate“ zu erkennen.
Was ist eine Tradition? Ein schneller Blick in ein Wörterbuch reicht, um zuerst einmal zu definieren, was unter dem Begriff der Tradition verstanden werden kann. Tradition ist:
- etwas, das seit vielen Generationen überliefert ist und als kultureller Wert gilt
- Verhaltensweisen und Handlungen, die es seit langer Zeit in einem Volk oder ineiner Gruppe gibt und die bewahrt werden
- Brauch, überlieferte Brauchtümer und Überzeugungen
In unserem Fall würde das bedeuten: Karate Stil X (Verhaltensweise und Handlung) mit Ursprung in Japan (in einem Volk bewahrt) wird seit Generationen (vom Großmeister an den Meister und von diesem an seine Schüler) innerhalb eines Dojo oder einer Organisation (Gruppe) als Brauch und Überzeugung überliefert. Nun, per Definition hätte ich damit in meiner fast 30-jährigen Lehrtätigkeit bereits eine eigene Tradition erschaffen. Keine Sorge, ich rufe mich jetzt nicht als Stilbegründer aus, sondern will einfach nur den Begriff der Tradition erläutern und anhand eines einfachen Beispiels greifbar machen. Und wenn wir diese Definition als Maßstab ansetzen, dürfte beinahe jedes System, welches die letzten 30 Jahre überdauert hat, als traditionell eingestuft werden.
Aber was wollen wir wirklich mit dem Begriff traditionell aussagen? Wir wollen untermauern, dass UNSER Stil ein alter, überlieferter, originaler und damit authentischer Stil ist. Dies ist besonders in den Ursprungsländern der asiatischen Kampfkünste ein wichtiges Merkmal, welches quasi der Grundstein einer jeglichen Akzeptanz durch die Gemeinde der ortsansässigen Meister ist. In unseren Breitengraden ist eine solche Aussage eher irreführend, besonders wenn man die von mir oben aufgestellte und gewagte Definition anwendet.
Manchmal ist es gar nicht so einfach zu sagen, wann in einem so komplexen Bereich wie dem des Budo (zu dem das Karate zuzuordnen ist) ein Stil oder ein System als traditionell bezeichnet werden kann. Legen wir eine der möglichen Messlatten an, welche in Japan durchaus gebräuchlich ist, stellen wir fest, dass Stile die vor der Meiji Restauration entstanden sind als „Ko ryu“ (alte Schule / Strömung) bezeichnet werden, Stile die danach erschaffen wurden oft als „Gendai“ (neu / neuartig) eingestuft werden. Ziehen wir diese Klassifizierung zur Einstufung der Karate Stile heran, geht kein heute bestehender Karate Stil als „alt“ durch, da die Meister in Okinawa erst im 20. Jahrhundert damit anfingen, ihre Ryu zu differenzieren und zu benennen. Natürlich sind die Stile bzw. ihre Wurzel weitaus älter, aber die Namensgebung fand eben erst vor wenigen Jahrzehnten statt.
Wir sehen also, dass die Definition „traditionelles Karate“ eine reine Auslegungssache ist, auch wenn vielen Karateka relativ klar ist, was damit gemeint ist. Oder?
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michael (Mittwoch, 21 August 2019 18:31)
Sehr gut dargestellt..... deshalb bezeichne ich das Karate welches ich meiner Familie vermittel auch als Altes Karate und unterbinde mich nicht einer Sport stiel Richtung. das Ziel war wohl nie der Sportliche Aspekt...Denn hierfür ist der Zinn und die Verantwortung zu groß.... meine Meinung?!... es mag ein jeder tun was er mag, jedoch sollte auch jeder wissen ,,Karate taugt nicht als Breitensport", da es meiner Überzeugung nach ausschließlich für den Schutz seiner selbst sowie dem seiner Familie entwinkelt wurde...in diesem Sinne unterlichte ich auch.... für mich bedeutet Karate ,, Respekt, Härte,Durchhaltevermögen, Hierarchie, und Härte". (bin die diesem Jahr auch bei mittlerweile 33 Jahren Karate angelangt). Grüße aus Sachsen Michael...kontakt@tischlermontage-abt.de