Wie schon auf unserer Facebook Seite versprochen, steht die kommende Woche ganz unter dem Motto Naihanchi. Neben einigen Videos, die ich auf unserer Facebook seite teilen werde, habe ich auch diesen kleinen Artikel zur Naihanchi verfasst. Viel Spaß beim lesen!
Naihanchi – DIE Kata!?
Naihanchi ist als Kata heute in aller Munde! Naihanchi, auch bekannt als Tekki (im Shotokan) gibt es in verschiedenen Versionen, meist spricht man hier von Naihanchi / Tekki Shodan, Nidan und Sandan. Wird kein solcher Zusatz verwendet, geht man automatisch von der Shodan Version aus, welche man auch in allen Shorin Ryu Stilen wieder finden wird. Es gibt unterschiedlichste Schreibweisen, und da es wohl keine einheitliche gibt, habe ich hier mal einen Auszug aus Wikipedia abgebildet:
内歩進 (内畔戦, 内範置, 鉄騎) |
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naihanchi (ナイハンチ?), naihanchin (ナイハンチン?), naihanchen (ナイハンチェン?) |
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naifanchi (ナイファンチ?), naifanchin (ナイファンチン?), naifanchen (ナイファンチェン?) |
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Interessant an dem ganzen neuerlichen „hype“ um diese Kata ist, dass sie vor noch gar nicht allzu langer Zeit völlig unbeachtet war…. zumindest in unseren Breitengraden. Ich erinnere mich noch gut daran, dass sie immer als „Grundschul Kata“ abgetan wurde, die nicht besonders anspruchsvoll ist und aufgrund ihrer einfachen Struktur eine leicht erlernbare Kata für die Unter- bis Mittelstufe.
Die Tatsache, dass es sich bei der Naihanchi ganz offensichtlich um die „Lieblings-Kata“ von Motobu Choki handelt, lassen viele bei solchen Aussagen gänzlich außer Acht. Motobu, einer der großen Meister seiner Zeit und geachteter Raufbold und Kämpfer, legte größten Wert auf die korrekte Ausführung dieser Form. Viele behaupten sogar, er habe keine anderen Kata gelernt, und hätte daher solchen Wert auf diese (seine einzige) Kata gelegt. Heute weiß man, dass auch solche Aussagen unhaltbar sind, und Motobu sehr wohl über ein großes Repertoire an Formen verfügte. Und dennoch (oder vielleicht t auch gerade deshalb) beschäftigt sich Motobu in seinem Buch „Watashi no Karate Jutsu“ ausschließlich mit der Naihanchi Kata, deren Ausführung und detaillierter Anwendung!
Motobu Choki mit Naihanchi
Über den Ursprung der Kata gibt es viele Vermutungen und auch Legenden, so zum Beispiel, die Kata sei für den Kampf in einem Reisfeld konzipiert. Eine andere Legende besagt, sie wäre von den Wächtern im Schloß Shuri entwickelt worden, und würde sich daher von Seite zu Seite bewegen, um das Tor (oder eine zu beschützende Person) zu beschützen. Nun ja, die Kata kann sicherlich für all das Verwendung finden, aber Legenden sind dann eben doch Legenden.
Historisch gesehen machen nur wenige Erklärungen Sinn, auch wenn von diesen Theorien keine wirklich belegbar ist. Bis jetzt gibt es jedenfalls keine echten Fakten, wer die Kata tatsächlich kreiert hat.
In seinem 1922 erschienenen Buch „To-te: Ryūkyū Kenpō / 唐手 琉球拳法“ ordnet Funakoshi Gichin die Naihanchi Kata dem Shōrei-Ryu / 昭霊流 zu, also dem Naha Te.
Nach Itosu Anko, einem von Funakoshis Lehrern, soll Matsumura Sokon die Kata von einem Mann aus Tomari gelernt haben (Ason?).
Die Theorie, dass die Kata aus China überliefert wurde, und alle heute bekannten Teile einmal eine einzige Kata waren, wird ebenfalls von vielen Fachleuten geteilt. Die Tatsache, dass die meisten chinesischen Formen eine enorme länge haben, unterstützt diese Theorie natürlich zusätzlich. Des Weiteren soll Itosu, ein großer Reformer in Sachen Kata (auf ihn gehen auch die Pinan / Heian Kata zurück; Siehe meine Buch „Itosu und die Pinan Kata“) die ursprüngliche Form in die heute bekannten drei Versionen Shodan, Nidan und Sandan aufgeteilt haben. Aber auch dies ist historisch nicht verbrieft.
Bevor Itosu die Pinan Kata Serie einführte, wurde die Naihanchi als erste Kata gelehrt, und stellt somit eine der wichtigsten Grundschulformen im Shorin Ryu da. Viele Meister sind der Meinung, dass die Naihanchi im Shorin Ryu der Wichtigkeit der Sanchin im Goju Ryu entspricht. Einige gehen sogar soweit und behaupten, dass man mit einer dieser beiden Formen ausreichend Karate beherrscht, um sich in jeder Situation verteidigen zu können. Interessant ist dabei, dass der Enbusen (Schrittdiagramm) der Naihanchi sich auf einer Linie von rechts nach links bewegt, wobei die Sanchin Kata die vorwärts und rückwärts Linie bedient. Legt man beide Diagramme aufeinander, so erhält man ein Kreuz, und kann so alle entscheidenden Winkel eines möglichen Angriffs bedienen.
Klar ist, dass es von der Naihanchi unzählige verschiedene Versionen gibt. Als Grundlage für viele andere Kata vielen Stilen und Systemen (z.B. Po Eun Hyong im Tae Kwon Do) wird die Naihanchi und ihre Kampfkonzepte regelmäßig ganz oder teilweise kopiert. Selbst in Okinawa existieren verschiedene Variationen, auch wenn die Unterschiede oftmals geringfügiger als die Gemeinsamkeiten sind. So findet man zum Beispiel verschiedene Stände, die von Kiba Dachi (in verschiedenen Breiten und Höhen), über Shiko Dachi bis hin zum Sanchin Dachi reichen können.
Wie schon Iain Abernethy in seinem Artikel „Naihanchi – Karate´s most deadly Kata?“ beschreibt, muß man jede Kata als in sich geschlossenes Kampfsystem betrachten. Von diesem Aspekt her kann die Naihanchi trotz ihres simplen Aufbaus als eine extrem effektive Kata betrachtet werden, wenn es um die praktische Anwendbarkeit der Techniken geht. Entscheidend bei der Entschlüsselung des Bunkai ist dabei sicher auch ein prägende Satz von Mabuni Kenwa, dem Begründer des Shito Ryu: „Lass dich nicht täuschen! Nur weil eine Bewegung in der Kata nach links ausgeführt wird, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass der Gegner auch von links angreift!“ Was Mabuni vermutlich damit sagen wollte ist folgendes: Da die Kata „nicht wissen kann“, aus welchem Winkel der Gegner angreift, kann sie uns nur eine Idee geben, eine Möglichkeit, eine Form, nicht aber die Lösung des Angriffswinkels. Somit ist es mal wieder an uns, den „richtigen“ Winkel zu finden, den wir für die Umsetzung einer Technik am Gegner einnehmen müssen. Aus diesem Blickwinkel heraus ist der einfache Enbusen der Naihanchi umso spannender, und es wird jedem Karate-ka sofort klar, dass sich mit verschiedenen Winkeln auch sofort eine Unzahl von Möglichkeiten erschließt, die Naihanchi im Bunkai zum Leben zu erwecken.
Mabuni Kenwa mit Motobu Choki Naihanchi Bunkai
Ob die Naihanchi nun wirklich die „tödlichste“ Karate Kata ist vermag ich final nicht zu sagen. Sicher ist, dass es kaum einer Form gibt, die aus einer so übersichtlichen Anzahl von Techniken und Schrittmustern eine solche Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten bietet. Somit ist die Naihanchi ganz klar eine meiner favorisierten Kata. Aber: Das ist nur meine Meinung ;-)