Was zählt?
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich schon gefragt wurde, was bei einem echten Kampf das Wichtigste wäre. Eine besondere Technik? Ein bestimmter Stil? Kraft, oder doch besser Schnelligkeit? Oder noch besser, die Fähigkeit ordentlich auszuteilen und einzustecken?
Schwer zu sagen, es ist sicher von all dem etwas, und es ist sicher auch nicht die eine Fähigkeit, die alles entscheidet, sondern vielmehr die Summe dieser Dinge, bzw. ihre „Mischung“. Das „Rezept“ sozusagen. Und obwohl all diese Dinge eine entscheidende Rolle spielen können, habe ich oft Kämpfer gesehen, denen etwas davon fehlte. Dennoch sprach das Resultat für sich.
Da ich kein Freund von „mein Stil ist besser als deiner“ Spielchen bin, möchte ich auf die Frage nach einem bestimmten Stil nicht weiter eingehen. Wie schon schlauere Köpfe als ich bemerkten, macht der Kämpfer den Kampf, nicht der Stil.
Technik kann sicher wichtig sein. Kann? Später! Unter Technik können verschiedene, einzelne Fähigkeiten zusammengefasst werden. Dazu gehören sicher Dinge wie Position, Stellung, Deckung, und natürlich alle Techniken (Schläge, Tritte, Würfe, Hebel usw.) an sich. Wie sehr sich eine gute Technik auf die Wirkung derselben auswirken kann, habe ich erst am vergangenen Wochenende an einem Schlagmessgerät sehen können. Der Unterschied zwischen Laien und trainierten Menschen kann mehr als das doppelte der Schlagkraft ausmachen. Die richtige Koordination der Bewegung führt natürlich zu einer Optimierung, somit kann diese Bewegung nicht nur schneller (und damit härter) sondern auch zielgerichteter ausgeführt werden.
Wie schon gesagt, kann Technik ein Faktor sein. MUSS ABER NICHT! Haha, ich kann mir das Gesicht der Leser gerade vorstellen, wenn ein „Technik Fanatiker“ wie ich eine solche Aussage trifft. Es gibt Fälle (und in meiner Tätigkeit im Sicherheitsdienst habe ich mehrfach solche beobachten können) in denen ein Kämpfer komplett auf Technik verzichtet. Dies sieht man auch in allen Vollkontakt Sportarten immer wieder. Jemand „schwingt einen solchen Hammer“ dass er dabei auch ohne Technik eine beinahe unglaubliche Wirkung erzielt. Oftmals (aber nicht immer) verfügen solche Menschen über eine entsprechende Physis, und kompensieren die fehlende Technik auf diesem Wege. Aber, und das darf nicht vergessen werden, welche Wirkung könnten solche „Kraftprotze“ mit der richtigen Technik noch entfalten?
„Ich wusste es“, höre ich jetzt schon den ein oder anderen sagen, „es ist doch die Kraft oder die Schnelligkeit!“. Naja, auch. Kraft ist nicht gleich Kraft, zumindest nicht in der Umsetzung bzw. in ihrem „Gebrauch“ bei der Ausführung einer kampfspezifischen Bewegung. So kann es durchaus sein, dass jemand, der im Alltag schwere Gewichte hebt, bei einem Tsuki jämmerlich versagt, oder der schmächtige Bürohengst einen Mae Geri Tritt, als ob er von einem Pferd käme. Natürlich spielt hier auch wieder die Technik (optimierte Bewegungsabläufe und Einsatz von Muskeln und Körpergewicht zur richtigen Zeit), aber einfach nur stark zu sein, ist nicht unbedingt ein echter Vorteil. Über Kraft zu verfügen, die kampfsportspezifisch ist, darum geht es (siehe Hojo Undo).
Und auch die Beschleunigung einer Bewegung ist maßgeblich an der Übertragung der Kraft beteiligt. Also ist es doch die Schnelligkeit, die die Nase vorne hat? Schnelligkeit kann, richtig eingesetzt, viele Vorteile gegenüber der puren Kraft (Stärke) haben. Sie ist nicht nur in der Lage, eine beliebige Technik zu beschleunigen, und damit zu verstärken, sie kann einen langsameren Gegner bereits treffen, bevor sich dieser bewegt. Zusätzlich ist sie entscheidend bei Ausweich- und Meidbewegungen, die in einem richtigen Kampf dafür sorgen, dass man unversehrt bleibt. Somit geht der Punkt an die Schnelligkeit!
Oder?
Man kann an diesem Für und Wider sehr gut erkennen, dass es eben nicht die EINE Fähigkeit zu sein scheint. Dennoch möchte ich noch einen letzten Part behandeln, bevor ich schließe. Die Fähigkeit „auszuteilen und einzustecken“. Austeilen wird von vielen im Bereich der Kraft angesiedelt, was zum Teil absolut korrekt ist. Aber es steckt sehr viel mehr dahinter. Da ich in meinem Dojo auch Kickboxen unterrichte, sehe ich viele der typischen Kickboxer, die mit Handschuhen enorm hart schlagen können, nimmt man ihnen jedoch die Handschuhe und Bandagen, bringen viele den schweren Sandsack kaum noch in Bewegung. Austeilen können bezieht sich auf die Fähigkeit, unbeschadet die zur Verfügung stehende Kraft übertragen zu können. Denn irgendwie scheint sich der Körper (oder ist es doch der Geist?) zu weigern mit voller Kraft auf ein Objekt zu schlagen (beispielsweise eine Hauswand) an dem man sich vermutlich verletzen könnte. Man „zieht zurück“.
Einstecken zu können war in früheren Tagen ein Attribut, welches bei Boxern hoch im Kurs stand. Knollennasen und Blumenkohlohren wurden wie Orden getragen, und zeugten von echten Nehmerqualitäten. Wenn ich heute mit unseren Anfängern die ersten Runden Kumite trainieren (wir trainieren mit Kontakt), stelle ich immer die gleiche Reaktion fest. Kaum nähert sich eine meiner Techniken dem Ziel, schon drehen sich untrainierte ab, und wären so in einem echten Kampf vollkommen verloren. Und das bereits bevor die Technik Schreck oder Schmerz auslösen könnte! Mit der Zeit und vielen Runden voller Schweiß (und manchmal auch Blut) verliert sich die Angst, und man reagiert gelassener auf die Angriffe des Gegners. Auch hier gilt wieder, der Körper weigert sich, Schläge hinzunehmen oder aktiv (und effektiv!) zu blockieren, die unsere Arme und Beine nicht einstecken können.
Ein brasilianisches Sprichwort sagt „Wer durch den Regen geht, wird nass“. Das trifft wohl auch auf einen Kampf, egal ob mit oder ohne Regeln, zu. In Angesicht der Tatsache, dass wir immer entweder austeilen oder einstecken müssen, ist diese Fähigkeit eine der wichtigsten. Wenn auch nicht die einzige ;-)