Sanchin?

Sanchin?

 

Es gibt wohl kaum eine Kata (und den damit verbundenen Konzepten und Prinzipien) die so viel Missverständnis hervorrufen, wie die Sanchin Kata. Dies liegt zum einen daran, dass diese Kata vornehmlich in den Richtungen des Naha Te praktiziert wird, zum anderen an der teilweise nutzlosen zur Schau Stellung von übertriebenen Shime.

Eine Diskussion in einer Facebook Gruppe, in der ich Mitglied bin, hat mich dazu bewogen, hier ein paar wichtige Fakten über diese Kata zusammen zu stellen, und so vielleicht ein wenig Licht in das „Dunkel“ der Sanchin zu werfen.

Sanchin (三戦, Naha Te) nimmt gemeinsam mit der Kata Naihanchi (Shuri Te) eine Schlüsselposition im Karate der Insel Okinawa ein. Viele alte aber auch neuzeitliche Meister sind der Überzeugung, dass die Meisterschaft dieser Kata der Meisterschaft im Karate gleichkommt. Dies verdeutlicht auch eine Aussage von Hokama Tetsuhiro, seines Zeichens 10. Dan Goju Ryu aus Nishihara, Okinawa: „Sanchin ist wie eine Flasche, deren Korken die Kata Tensho ist. Alle anderen Kata des Goju Ryu entsprechen dem Inhalt der Flasche. Wenn Karate Wasser wäre, müsstest du eine Flasche haben (Sanchin) um dieses Wasser mitnehmen zu können. Ohne Sanchin kannst du die anderen Kata nicht verstehen!“

Wie bei vielen alten Kata ist der eigentliche Ablauf der Sanchin, nun, sagen wir „überschaubar“. Sie basiert auf einer einzelnen Stellung (Sanchin Dachi), wenigen Schritten, einem einfachen Enbusen, und lediglich vier Techniken (je nach Stil bzw. Dojo), keine Tritte. Wie gesagt, überschaubar.

 

Da die Kata von einigen Meistern mehr als ein Konzept als eine Kata gesehen wird, existieren heute unzählige verschiedene Version der Sanchin auch innerhalb desselben Stils (besonders im Goju Ryu). Auffällig ist, dass die Kata in den meisten Goju Stilrichtungen mit geschlossenen Händen und massiver Atmung (Ibuki) ausgeführt, wohingegen die Sanchin im Uechi Ryu / Pangai No ón mit offenen Händen und deutlich entspannterer Atmung praktiziert wird.

 

Wie Kinjo Akio in seinem 1999 erschienen Buch „Karate Denshinroku“ erklärt, soll Higaonna Kanryo (der Lehrer von Miyagi Chojun, Gründer des Goju Ryu) die Kata mit offenen Händen, Nukite (statt Tsuki) und einer kaum hörbaren Atmung unterrichtet haben. Eine Aussage, die sich mit denen vieler Zeitzeugen deckt. Die Veränderung zu einer, wie heute oftmals bezeichneten „Atemkata“ mit lauter Atmung und geschlossen Händen muss später erfolgt sein.

 

Aber warum nimmt gerade eine so einfach anmutende Kata wie die Sanchin einen solchen Stellenwert in den Naha Te orientierten Stilen aus Okinawa ein? Oder nimmt sie diese Stellung gerade deshalb ein, WEIL sie so einen einfachen technischen Aufbau hat?

Nun, grundsätzlich muss gesagt werden, wer noch nie eine Sanchin unter fachlicher Anleitung eines Meisters geübt hat, der sieht wenig bis gar keinen Sinn in ihrer Übung. Oder aber er „erkennt“ Elemente, die, Facebook, Youtube und Co. sei Dank, gar nicht zu dieser Kata gehören. Er wird sie als reine Abhärtungsübung betrachten, oder als macho-männliches, oberkörperfreies, grunz-atmendes, muskel-protzendes Männlichkeitsritual ad akta legen. Schade!

 

Denn die Sanchin kann uns so viel lehren, wenn wir es zulassen! Doch um diese Lehre erfassen zu können, müssen wir zwei Dinge tun: 1. Wie bereits gesagt, wir müssen es zulassen (als ob das nicht schon der wichtigste Grundsatz für alles Lernen wäre) und 2. Wir müssen uns den Grundsatz des Goju Ryu zu Eigen machen: GO und JU, HART und WEICH!

 

Wenn Außenstehende Sanchin Shime, also das „Testen“ der Sanchin Positionen, betrachten, dann entsteht oft der Eindruck einer Abhärtungsübung. Natürlich kann dies ein gewünschtes Nebenprodukt des Shime sein, so wie das Abhärten der Knöchel auch nur ein Nebenprodukt des Makiwara Trainings ist. Doch im Fokus dieser Übung stehen ganz andere, weitaus wichtigere Elemente, die für den Karateka eine entscheidende Lernhilfe darstellen.

 

Neben einigen tieferen Lehrinhalten soll die Kata (und auch das mit dem Partner geübte Shime) folgende Dinge schulen:

 

1.    Korrekter Wechsel zwischen An- und Entspannung (klingt leichter als es in der Praxis ist!)

2.    Harmonisierung zwischen Atmung und Aktion

3.    Fester Stand und dynamische Positionswechsel

4.     Einbeziehung von Gamaku und Chinkuchi

5.     Spüren und Lenkung von Energie und Muskelspannung / Entspannung

 

Über all diesen Lehrinhalten steht für mich persönlich das „Gefühl“, welches man bei korrekter Übung für seinen Körper erlangt. Sanchin kann eine Reise durch den Körper darstellen, uns aufzeigen, wo wir verkrampft sind, wo uns hingegen Spannung fehlt. Auf dieser Reise können wir entdecken, was diese Spannungswechsel in Zusammenhang mit der Atmung für uns bewirken können.

 

 Yap, ich weiß, klingt esoterisch, isses aber nicht ;-)

 

Noch ein paar Worte zum Sanchin Shime. Wie bereits eingangs erwähnt sieht man oft brutal anmutendes Shime in verschiedenen Dojo. Hier wird mit sehr harten Schlägen und teilweise auch Tritten die Spannung des Schülers geprüft. Dazu muss man zwei Dinge wissen. Zum einen wird ein richtiger Sensei NIEMALS solch hartes Shime an einem Anfänger durchführen, sondern wird es nach Bedarf nur mit Fortgeschrittenen nach Absprache üben (so ist es jedenfalls in den mir bekannten Dojo). Zum anderen haben die meisten Dojo eine gewisse Reihenfolge, in der die Shime Techniken ausgeführt werden, sodass der Schüler IMMER weiß, was wann auf ihn zukommt. Nur so wird garantiert, dass der Schüler sich auf die entsprechenden Bereiche konzentrieren kann, und so sein Fortschritt durch die Einwirkung eines Trainingspartners / Sensei gewährleistet wird. Shime sollte somit immer nur ein Mittel sein, um die Schwachstellen einer Position unter Belastung zu identifizieren, nicht als hirnlose Einprügeln auf den Partner!

Dazu hier ein guter Artikel von Chris Wilder http://ymaa.com/articles/sanchin-shime-and-hard-impact

 

Für echtes Interesse an der Kata Sanchin empfehle ich die Bücher „The Essence of Goju Ryu Vol I und II“ von Richard Barrett Garry Lever

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