Saifa 砕破
Ein komplettes Kampfsystem
Der heutige, erste Teil, meines Blogartikels ist ein Auszug aus meinem "Mini Book" mit dem selben Namen. Für die Abonnenten unseres Mitgliederbereichs gibt es am Ende von Teil zwei noch eine kleine Überraschung ;-)
Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich diese Kata erlernt habe. Und um ehrlich zu sein, konnte ich mich lange Zeit nicht mit ihr anfreunden. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich sie zu den Grundschulformen zählte, und ihr daher lange keine große Beachtung schenkte. Doch dann bat man mich, die Kata im Detail auf einem Seminar zu zeigen. Wie es meine Art ist, bereitete ich mich auf dieses Seminar vor, wahrscheinlich sogar besser, als ich es sonst tue. Irgendwie hatte ich die Befürchtung, dass auf Grund der Kürze der Kata das Material nicht für den ganzen Seminartag ausreichen würde. Also vertiefte ich mich in die Kata, und arbeitete einige Bunkai Anwendungen mit einem Schüler als Partner aus. Zudem überlegte ich mir einige Drills, Flußübungen oder Muchimidi, wie wir sagen.
Die Teilnehmer des Seminars waren begeistert. Vor allem, weil sie die Kata noch nicht gelernt hatten, und nun in der Lage waren, diese Form auszuüben, zusammen mit einigen Partnerübungen und dem entsprechenden Bunkai. Somit beschloss ich, dem ganzen mehr Substanz zu geben. Das Ergebnis ist das Buch mit DVD „Saifa – ein komplettes Kampfsystem“, aus welchem die Auszüge in diesem Blog und entnommen sind.
Wie jede der alten Kata repräsentiert auch die Saifa ein komplettes und in sich geschlossenes Kampfsystem. Dabei konzentriert sie sich, wie im Goju Ryu mehr als üblich, auf eine recht enge Kampfdistanz, und findet hier immer wieder Lösungen, auch wenn der Gegner einige dieser Lösungen im Ansatz unterbinden kann. Saifa ist, nun, ich möchte nicht sagen „hinterhältig“, aber einfallsreich, und sie hat einige Asse im Ärmel, um den Gegner zu überraschen.
Die Kanji 砕破 verraten schon sehr viel über ihren Charakter. Wie der Buchtitel schon verrät, stehen sie unter anderem für zerbrechen und zerreißen. Dabei kann 砕 auch im Kontext mich „sich den Kopf zerbrechen“ gelesen werden, und in einem anderen Zusammenhang kann es sogar „vereinfachen“ bedeuten. Nun, mit einem Schmunzeln muß ich gestehen, dass die Saifa somit in meinem Kopf ganz oft auch „einfach zerreißen“ heißt.
Aber auch die heute verwendeten Kanji können uns leider auf der Suche nach dem Ursprung der Saifa keine große Hilfe sein. Das liegt in erster Linie daran, dass die ursprüngliche Schreibweise der Kata verloren gegangen sind. Einigen Überlieferungen nach konnte Higaonna weder lesen noch schreiben (eine Tatsache, die auf viele Menschen in Okinawa seiner Zeit zutraf), und somit wurde die ursprüngliche Schreibweise nie korrekt übermittelt. Zudem kann man davon ausgehen, dass der Name Saifa aus dem chinesischen übernommen, und wahrscheinlich, wie bei anderen Formen ebenfalls gebräuchlich, in die okinawanische Sprache übersetzt wurde (Tokashiki 1991, 1995; Kinjo 1999).
Der Kampfkunst Historiker Akio Kinjo nimmt an, dass die Saifa Kata aus dem Stil des Löwen stammt, und dass die ursprüngliche Bedeutung von Saifa „Löwenmaul“ sein könnte. Dies würde im Hokkien Dialekt „Saifa“, und in Mandarin „Shifa“ gesprochen. Kinjo unterstützt diese Behauptung durch die Tatsache, dass die Saifa Kata einen doppelten Fausstoß (Hiraken) enthält, welcher repräsentativ für die Schule des Löwen ist.
In seinem 1936 veröffentlichten Artikel “Ryukyu Kenpo Toudi Enkaku Gaiyou”, nennt Miyagi Chojun im Abschnitt über „die Herkunft des Kenpo“ (Kenpo Torai ni tsuite) folgende chinesische Stile als direkte Verbindung zu den Kaishu Kata des Goju Ryu: Tiger Boxen, Schlangen Boxen, Hunde Boxen, Kranich Boxen und Löwen Boxen.
Unter den Stilen des Süd Shaolin in Fuzhou befinden sich verschiedene, welche die Bezeichnung “Löwen Boxen” tragen (japanisch “Shishi Kenpo”), darunter das „Löwen Form Boxen“ und der Stil des „Goldenen Löwen“. Einige Elemente aus diesen Stilen, wie den doppelten Fauststoß (Hiraken) und den Mawashi Uke, kann man auch in der Saifa Kata wiederfinden. Laut Kinjo und Tokashiki repräsentiert der Hiraken die Pranken des Löwen, wie er seine Beute niederreißt. Der Mawashi Uke, oft auch als „Tora Guchi“ (Tiger Maul) bezeichnet, interpretieren sie als das Maul des Löwen. Zudem sollen die Stampftechniken der Saifa die mächtigen Schritte des Löwen veranschaulichen.
Wie verlockend diese Theorie auch klingen mag, sie braucht sicher noch einige Fakten, um tatsächliche Anerkennung zu finden. Schließlich sind die oben genannten Techniken auch ein wichtiger Bestandteil des Tiger / Kranich Stils, welcher großen Einfluss auf die Entwicklung des Karate im Allgemeinen genommen hat. Doch selbst in den heute existierenden Kranich Stilen gibt es keine Form, die als Ur-Version der Saifa wiederzuerkennen wäre.
Nächste Woche geht es weiter mit dem zweiten Teil zum Thema Saifa. Dann gibt es auch einige Auszüge aus dem Bunkai auf unserem Youtube Kanal. Bis dahin: Ganbatte ;-)