Bunkai? Echt jetzt?

 

Bunkai? Echt jetzt?

 

Ich sitze bei der diesjährigen Weltmeisterschaft der WKF in der Halle, bestaune die Leistungen der Athleten. Das japanische Kata Team um Weltmeister Ryo Kiyuna startet gerade mit seiner Darbietung der Kata Anan, mit der Kiyuna zuvor bereits die Einzelklasse für sich entscheiden konnte. Die Kata an sich ist exakt vorgetragen, der Rhythmus schnell und synchron in ihren Bewegungen. Doch was dann als „Bunkai“ kommt, ist die Krönung. Unfassbares Timing und Genauigkeit, gepaart mit einer sportlichen Explosivität und Kontrolle, die ihres Gleichen sucht! Doch ist es anwendbar, was hier gezeigt wird? Ist es im weitesten Sinne realistisch, und kommen nur Techniken aus der Kata Ana zum Einsatz? Natürlich nicht! Dann ist es wohl kein echtes Bunkai? DOCH!

 


 

Ja, ich weiß was viele meiner Leser jetzt denken. Wo ich doch immer von der Funktionalität des Bunkai predige, und mich jetzt offensichtlich von einem Lobgesang über sportliches Karate hinreißen lasse.  Was ist passiert? Nun, um ehrlich zu sein: GAR NICHTS! Ich halte, wie schon seit gut drei Jahrzehnten, an meiner Vorstellung von Bunkai fest. Doch als „alter Kampfsportler“ kann ich nicht anders, als von der Darbietung des japanischen Teams einfach begeistert sein. Ist das Bunkai, was hier gezeigt wird? Mal abgesehen davon, dass Bunkai hier, wie vieler Orts, fälschlicher Weise als „Anwendung“ definiert wird, ist das hier gezeigte sicher kein Bunkai im ursprünglichen Sinn. Ist es eine annähernd perfekte Demonstration von Kraft, Technik, Ma Ai, Timing, Kontrolle und sportlicher Perfektion? UNBEDINGT!! Und, wenn ich es ganz genau betrachte, ist es auch irgendwie Bunkai!

 

 

BITTE?

 

Bunkai (Analyse) wird ja oft mit der Anwendung (Oyo) gleichgesetzt, eine Thematik die ich bereits in einem früheren Artikel beschrieben habe („Alle reden von Bunkai“ in meinem Mitgliederbereich). Dennoch bleibe ich zum einfacheren Verständnis in diesem Artikel bei dem Begriff Bunkai.

 

Doch was ist Bunkai? Meiner Meinung nach setzt sich Bunkai aus verschiedenen Phasen zusammen, verschiedene Entwicklungsstufen, die ein Karate Ka im Laufe seiner Ausbildung durchschreiten muss. Grundsätzlich, und das ist meine ganz persönliche Meinung, muss man für jede Bewegung in einer Kata eine passende Anwendung finden, bevor man diese verändert, weglässt oder gänzlich durch ein anderes Element ersetzt. Nur so lernt man mit all den bereits vorhandenen Techniken der Kata umzugehen, und kann danach zum nächsten Schritt wechseln. Die Variation. Selbstverständlich ändert sich das Bunkai im Laufe der Zeit, weil sich auch das Wissen, Können und Verständnis des Karate Ka mit seinem Fortschritt verändern sollte.

 

Im Bunkai, also der Analyse der Kata, haben wir es mit einer sehr schwierigen Konstellation zu tun. Wir haben die Lösung zu einem Problem, kennen aber die ursprüngliche Fragestellung nicht, und müssen somit quasi „rückwärts denken“. Ein Bisschen wie Jeopardy. Dabei entscheidet unser Verständnis für das Karate maßgeblich über das Ergebnis, zu dem wir kommen. Beispielsweise wird ein Karateka der sich ausschließlich mit Schlagen und Treten beschäftigt, ein Szenario entwickeln in dem er eine bestimmte Kata Sequenz gegen einen Tsuki oder Mae Geri anwendet.  Ist der Karateka eher mit Hebel- und Wurftechniken vertraut, wird er dieselbe Sequenz vielleicht gegen einen greifenden Gegner anwenden und sie sogar mit einem Wurf beenden. Beides kann funktionieren, hier gibt es sicher kein richtig oder falsch, sondern nur ein funktioniert oder funktioniert nicht.  Beide haben in ihrer Umsetzung jedoch eines gemeinsam: Sie gehen von einem bestimmten Eingangsszenario aus, von fix definierten Umständen und von einer klaren Vorstellung, was genau der Gegner wie tut, und wie die entsprechende Reaktion des Verteidigers darauf auszusehen hat.

 

Nun, das ist eigentlich GENAU das, was beim sportlichen Bunkai passiert! Nicht? Doch! Denn was die Athleten hier machen, ist eine Analyse der Kata unter bestimmten Gesichtspunkten. Und diese sind klar definiert. Nicht von ihnen, oder gar von den alten Meistern, die diese Kata entwickelt haben. Sondern von den Wettkampfregeln, denen sie sich zu unterwerfen entschieden haben. Sie haben es hier mit einem anderen „Gegner“ zu tun, und der greift nicht mit Bewegung XY an, sondern sitzt im schicken Anzug da, mit einer roten und einer blauen Flagge bewaffnet. Sie werden also nicht nach den uns so wichtigen Kriterien der Effektivität bewertet, sondern schlicht nach der Attraktivität ihres Tuns.  Und attraktiv, das ist es unumstritten!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Basty (Mittwoch, 04 Januar 2017 16:30)

    Toller Artikel :-D
    Besonders möchte ich noch einmal hervorheben. Richtig oder falsch gibt es nicht! Und hier muss sich sogar funktioniert oder funktioniert nicht direkt mit einreihen.
    Die Regeln machen die Musik. Und es gibt überall Regeln. Im Wettkampf, im Dojo und auch auf der Straße.
    Wer sich am Ende am besten in den entsprechenden Regelwerken bewegt, gewinnt, erntet Respekt oder überlebt.

    Danke Andree, wir sehen uns bald :-D

    LG Basty