Kamae 構え, Tachi 立方 und das Leben im Moment
Einer meiner Freunde und Schüler, Axel Heinrich, hat kürzlich einen hervorragenden Artikel von Motobu Naoki Sensei übersetzt (aus dem Englischen von Ulf Karlsson). In diesem Artikel ging es um die Fußstellung Neko Ashi Dachi in den Pinan Kata.[1] In diesem Artikel beschreibt Motobu Sensei, wie sein Vater (Motobu Chosei) dessen Vater (dem berühmten Karate Meister Motobu Choki) eine Pinan Kata vorführte, und dass Motobu Choki davon aufgrund der vorhandenen Katzenstellung (Neko Ashi Dachi) nicht begeistert war. Motobu bezeichnete Stellungen wie den Neko Ashi Dachi oder den Kokutsu Dachi als wertlos und schwach, und sprach sich für die Verwendung des Naihanchi Dachi (eine Variante des heute oft verwendeten Kiba Dachi) aus.
Natürlich hat gerade diese Übersetzung für viel Beachtung innerhalb der Kampfkunstkreise auf sich gezogen. Gerade bei Karateka hat er allerdings auch für eine Menge Diskussionsstoff gesorgt, da der Neko Ashi Dachi ja in den meisten heute bekannten Stilen zum Einsatz kommt. Letztlich haben auch meine Schüler mich darauf angesprochen, und meldeten ihre Bedenken an. Schließlich haben sie doch alle ihre Probleme mit dieser besonderen Fußstellung, und wissen um deren Schwächen.
Zuerst muss ich natürlich gestehen, dass ich ganz bei Motobu bin, wenn er sagt, dass diese Stellung schwach ist. Mehr oder weniger auf einem Bein zu stehen kann nicht so stabil sein, wie es ein fester, auf beide Beine verteilter Stand ist. Das liegt in der Natur der Sache, und muss nicht weiter erläutert werden. Ein fester Stand ist, wie Motobu richtig schildert, allerdings ein absolutes MUSS, wenn man kraftvolle Techniken ausführen will.
Aber wenn dies der Fall ist, warum nehmen wir dann diese vermeintlich schwache Stellung überhaupt ein? Nun, dafür gibt es verschiedene Gründe, die ich in diesem Artikel gerne erklären möchte. Ein paar einfache und logische Beispiele findet ihr in dem Video, der diesen Artikel begleitet.
Grundsätzlich müssen wir uns, um das „Phänomen“ der Stellungen verstehen zu können, zuerst einmal das Prinzip der Kampfstellung, Kamae, ansehen. Kamae spielen in den verschiedenen Budo Künsten eine wichtige Rolle. Sie stellen eine Ausgangsposition dar, so zumindest die bekannte Übersetzung des Wortes. Ein Blick auf die verwendeten Kanji bestätigen dies. Doch lassen die Kanji auch eine weitere, in Japan durchaus
gebräuchliche Übersetzung zu. Denn neben Stellung oder Pose kann man sie auch mit Bereitschaft und Entschlossenheit übersetzen. So kommt zu der rein körperlichen Erscheinung der Kamae auch eine geistige Haltung hinzu.
Ebenso ergeht es uns bei den Kanji für Tachi (alleingestellt wird aus dem Dachi ein Tachi), die Fußstellungen. 立ち steht natürlich für Start, Position, aber auch für Ablauf oder zeitlicher Durchgang.
Eines der größten Irrtümer im Karate ist es, dass wir in „Einzelbildaufnahmen“ denken, ein Problem, welches ich in meinen Artikeln gerne als Daumenkino bezeichne. Wenn wir z.B. in einem Buch die Bilder von Techniken oder Kata betrachten, dann sehen wir natürlich nur den Schnappschuss, die Momentaufnahme, nicht aber, wie der Akteur auf dem Bild in diese Position gekommen ist. Also denken wir in Momentaufnahmen, Standbildern, und nicht in fließenden Bewegungen. Wir fragen uns nicht, wie komme ich von A nach B, und schon gar nicht hinterfragen wir Übergänge und Rhythmen.
Tachi und Kamae, sind genauso „Übergangspositionen“, so wie es die Ausführung von Waza, Techniken ist. Oftmals werden gerade Karateka kritisiert, dass sie mit einem geraden Fauststoß angreifen, im perfekten Zenkutsu Dachi einfrieren, damit der Partner nun seine Abwehrbewegungen machen kann. Und ja, genau so wird in den Dojo dieser Welt praktiziert. Für einen Anfänger ist das auch richtig und wichtig, denn ein zu hohes Tempo würde nicht zu einem echten Lernerfolg beitragen, der Anfänger wäre überfordert. Doch wie bei allem Erlernten müssen wir dann aus diesem Schema entfliehen, uns auf das nächste Niveau begeben, und das Tempo erhöhen, um weiterhin zu wachsen und uns zu entwickeln.
Kommen wir zurück zum ursprünglichen Thema, dem Neko Ashi Dachi, der Katzenstellung. Wir finden diese Stellung nicht nur im Karate, sondern auch in vielen anderen Kampfkünsten. Und das erscheint mir nur logisch, wenn wir bei dem Gedanken bleiben, dass es sich um eine Übergangsstellung handelt. Eine, die aufgrund ihrer Struktur hervorragend geeignet ist, um einem gegnerischen Angriff auszuweichen. Eine, die wir aber auch immer wieder einnehmen, ohne es ernsthaft zu bemerken. Denn was passiert denn, wenn wir beim Vorwärtsgehen ein Fuß vor den anderen setzen? Ist es nicht so, dass für einen winzigen Augenblick eine Katzenstellung aufblitzt? Oder bei einem geraden Fußtritt, Mae Geri. Egal aus welcher Ausgangsposition wir ihn treten, für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment befinden wir uns in der Katzenstellung, da wir das Körpergewicht vom einen auf das andere Bein verlagern, damit das entlastete Bein vom Boden gehoben werden kann. Kurz bevor unser Bein für den Mae Geri „abhebt“ finden wir den Neko Ashi Dachi für diese Millisekunde wieder. Probiert es aus, und ihr werdet ihn sehen, wenn ihr die Bewegung nur langsam genug macht. Wenn ihr euch im Zenkutsu Dachi vorwärts bewegt, wird er da sein, kaum sichtbar, versteckt vor dem Auge des Laien. Er bereitet den nächsten stabilen Stand vor, damit wir nun in einer Position sind, in der wir Kraft in unsere Technik bringen, und diese dann effektiv an unseren Gegner übertragen. Und auch diese Position ist nicht in Stein gemeißelt, sondern verschwindet in dem Moment, in dem sie ihre Aufgabe erfüllt hat, und der fortgeschrittene Karateka wieder in eine entspannte und natürlich Position „fällt“……… für den Moment ;-)
[1]https://karate-im-schwarzwald.jimdo.com/2017/11/27/ulf-karlsson-pinan-kata-und-die-katzenfuß-stellung-nekoashi/
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