Karate ni sente nashi 空手に先手 なし -
Es gibt keinen ersten Angriff im Karate
Um unser Bild abzurunden, sehen wir uns noch die Meinung eines weiteren Karate Meisters aus der Zeit von Miyagi und Mabuni an. Motobu Choki, der neben seinen großartigen Fähigkeiten im Kampf auch für seine Kämpfe im Rotlichtviertel von Naha bekannt ist, nimmt sich dem Thema Karate ni sente nashi in seinem 1932 veröffentlichten Buch „Watashi no Karate Jutsu“ an. In einem Abschnitt mit dem selbigen Titel schreibt er zu Karate ni sente nashi folgendes:
„Es gibt einen Ausdruck, Karate ni sente nashi. Offensichtlich interpretieren manche Menschen dies wörtlich, und behaupten „man darf nicht als erster angreifen“. Aber ich glaube damit liegen sie falsch.
Sicher, es entspricht nicht dem Geist des Budo wenn man trainiert um andere ohne guten Grund zu schlagen. Ich gehe davon aus, dass du bereits verstanden hast, dass der hauptsächliche Zweck des Trainings darin besteht den Körper und den Geist zu schulen. Die Bedeutung dieses Sprichwortes liegt also darin, andere nie ohne guten Grund zu verletzen. Aber wenn eine Situation unausweichlich ist, in anderen Worten, wenn man alles getan hat, um einen Kampf zu vermeiden, wenn ein Feind die Absicht hat, dich wirklich zu verletzten, dann muss man heftig stehen und kämpfen. Wenn man kämpf ist es entscheidend den Feind zu kontrollieren, und diese Kontrolle muss man mit der ersten Bewegung erreichen. Daher muss man in einem Kampf als erster attackieren. Es ist wichtig sich daran zu erinnern.“
Mabuni und Motobu vertreten also die Meinung, dass man einem Kampf ausweichen sollte, bzw. andere nicht verletzen sollte, zumindest nicht ohne guten Grund. Dennoch sind sich beide einig, dass, wenn ein Kampf unausweichlich ist, man unbedingt die Initiative ergreifen sollte. Mabuni spricht hier von sensen no sen, und meint damit eine der drei Möglichkeiten, einen Kampf zu gestalten.
Sen no Sen (Gegenangriff, im Moment des Angriffs)
Go no Sen (Gegenangriff nach dem Moment des Angriffs) und
Sen Sen no Sen (Gegenangriff vor dem Moment des Angriffs)
Go no sen ist die „einfachste“ der Strategien, zumindest wenn es darum geht, sie zu verstehen. Dabei greift der Gegner zuerst an, und wir machen den Gegenzug (Ausweichen, Blockieren o.ä.). Auch wenn diese Strategie die scheinbar einfachste ist, ist sie sicher nicht die mit dem größten Erfolg, da wir uns hier ganz auf unsere Reflexe verlassen müssen.
Sen no sen beschreibt die nächste Stufe. Dabei haben wir unsere Sinne bereits soweit geschärft, dass wir den gegnerischen Angriff bereits im Ansatz erkennen, und daher im selben Moment mit dem Angriff bereits unsere Gegenmaßnahme einleiten. Diese Strategie verspricht bereits größeren Erfolg, erfordert aber ein intensives Training in den Kampfkünsten.
Sensen no sen stellt die höchste strategische Stufe dar. Dabei ergreifen wir die Initiative genau in dem Moment, in dem der Gegner seine Absicht uns anzugreifen manifestiert hat, aber seine Bewegung noch nicht angesetzt hat. Für einen Außenstehenden sieht es ganz so aus, als ob ich der Angreifer wäre, und nicht der Verteidiger. Somit stellt sensen no sen die erfolgversprechendste Strategie dar, auch wenn es nur wenigen gelingt, diese Stufe in ihrem Training zu erreichen.
Alle drei Strategien sind Teil der Ausbildung der Budo Künste, und werden, wie ich finde, hervorragend in dieser lustigen Darstellung illustriert.
Aber zurück zu Karate ni sente nashi. Was auch immer die persönliche Einstellung jedes einzelnen Karateka sein mag, ist eben das: Seine persönliche Einstellung! Doch wenn wir die Realität des Kampfes betrachten, ist sensen no sen eine der effektivsten Mittel, den Kampf zu unseren Gunsten zu entscheiden.
Wenn wir uns an die von Miyagi, Mabuni und Motobu geforderten moralischen Grundregeln halten, und versuchen einen Kampf auszuweichen, dann erfüllen wir Karate ni sente nashi gänzlich. Doch wir müssen flexible bleiben, uns anpassen, und mit sen die Initiative ergreifen.
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