Stile - Sinn oder Unsinn?
Wie alle Budo Künste gibt es auch im Karate oder im Kobudo verschiedene Stile. Für den einen ist sein Stil das Maß aller Dinge, für andere nur ein Ärgernis, und für wieder andere das untere Ende eines Besens.
Aber mal ernsthaft, wie wichtig sind Stile tatsächlich? Brauchen wir die klare Unterscheidung in Kategorien und Gruppen, und wenn ja, warum? Oder schafft eine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Schulen Okinawas nur noch mehr Missverständnis und Verwirrung?
Um die Thematik besser verstehen zu können, müssen wir uns den historischen Kontext ansehen, und erkennen, warum es überhaupt Stile innerhalb des Karate gibt. Denn das war nicht immer so! Zumindest nicht, wenn es um klare Definitionen, Abgrenzungen, Namensgebung oder gar um strukturierte Lehr- oder Prüfungsprogramme geht. Auf der Hauptinsel Japan war dies anders, denn dort hatten sich die Koryu (die alten, klassischen Stile) von je her in einem begrenzten Gebiet oder innerhalb eines Clans entwickelt, sodass dort eine Namensgebung, Abgrenzung und Definition von je her gegeben war. Auf der kleinen Insel Okinawa fehlten diese Strukturen gänzlich, und man war sich nicht mal einig, welchen Überbegriff die jeweils ausgeübte Kampfkunst tragen würden. Begriffe wie Te, Kempo, Toudi und viele mehr waren in Gebrauch, um das, was heute als Karate weltweit bekannt ist zu bezeichnen. Von klaren Stilen ganz zu schweigen!
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen die Meister aus Okinawa an der japanischen Budo Welt zu orientieren. Wie Patrick McCarthy in seinem Artikel über Te schreibt, wurden die ersten Stil „Kategorien“ erst 1926 erschaffen. Namen wie Shuri Te, Naha Te und Tomari Te wurden etabliert, um die lokalen Orte zu identifizieren, in denen die Meister Mabuni, Miyagi und Kyan ihre Auffasssung des Te unterrichteten. Diese Idee gründet auf einem Besuch von Judo Begründer Kano Jigoro in Okinawa, zu dessen Ehren eine Kampfkunstdemonstration stattfinden sollte.
(Den kompletten Artikel findet ihr hier: http://irkrs.blogspot.de/2016/02/share-te-naha-te-tomari-te-clearing-up.html?view=magazine)
Somit waren die ersten Kategorien entstanden, und wie man sieht, nur um damit den offiziellen Anschein zu wahren, dass es tatsächlich verschiedene etablierte Stile gäbe.
Wenige Jahre später gab Shinzato Jinan (1901-1945), der als Meisterschüler Miyagis galt, eine Demonstration in Tokyo (1930, Tokyo Meiji Shrine Budo Tournament 東京明治神宮武道大会). Nach seiner Vorführung wurde Shinzato von den anwesenden Budo Meistern gefragt, welchen Stil er vertreten würde. Darauf konnte er natürlich keine richtige Antwort geben, da es noch keine Bezeichnung für die Stile in Okinawa gab. Und das 1930!
Nach seiner Rückkehr besprach er den Vorfall mit Miyagi Sensei, welcher das grundsätzliche Problem erkannte. Zwischen 1930 und 1933 entschied sich Miyagi für die Bezeichnung Goju Ryu Toudi, welche er als erster Meister aus Okinawa im Jahre 1933 beim Dai Nippon Butokukai registrieren ließ. Somit war Goju Ryu die erste Stilrichtung, die offiziell in Japan anerkannt wurde, und Miyagi selbst wurde zum Direktor des okinawanischen Zweiges des Butokukai ernannt. Erst 1936 setzte sich die Bezeichnung „Karate“ durch, und ersetzte auf Grund der politischen Situation das bis dahin gebräuchliche Toudi (China Hand).
Grundlage dieser Entscheidung war das 1936 stattfindende „Meeting oft he Masters“, zu dem ich an anderer Stelle bereits einige Details geschrieben hab. Bei diesem meeting trafen die führenden Meister aus Okinawa zusammen, und diskutierten einige der wichtigsten Punkte für die gemeinsame Zukunft des Karate. Während dieses Treffens trug Miyagi Chojun seine Meinung zu verschiedenen Punkten vor. Auch zum Thema Stile hatte er eine klare Meinung:
„Man sagt, dass Karate zwei verschiedene Schulen* hat: Shorin Ryu und Shorei Ryu. Wie dem auch sei, es gibt keinen klaren Beweis der diese Aussage bestätigt oder widerlegt. Ware ich gezwungen die Unterschiede zwischen diesen Schulen aufzuzeigen, würde ich sagen, dass es die Trainingsmethoden sind, die diese beiden trennt.“
(*übersetzt aus dem Japanischen ins Englische von Patrick McCarthy. McCarthy übersetzt in diesem Text mit dem Wort „Sekten“. In meiner Übersetzung habe ich das für mich treffendere Wort „Schulen“ gewählt)
Für Miyagi waren es also viel weniger die Kata oder aber das technische Repertoire, welches die verschiedenen Schulen in Okinawa unterscheidet, sondern vielmehr die verschiedenen Lehrmethoden.
Ich persönlich finde eine Unterteilung in Stile für einen Anfänger sicherlich als hilfreich. Ein Fortgeschrittener sollte diese Grenzen jedoch durchbrechen. Es gibt EIN Karate, und wenn wir in der Lage sind, unser stilspezifischen Scheuklappen abzunehmen, über den Tellerrand blicken, und unseren Geist offen halten, so werden wir alle voneinander lernen können. Daher möchte ich mit einem Zitat von Cezar Borkowski schließen, das für mich alles sagt.
„Ich denke, dass die Wucherung von Stilen und zahlreichen Untergruppen durch die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Menschen entstanden sind. Der durchschnittliche menschliche Verstand verlangt nach Klassifizierungen – Menschen mögen es nicht, wenn die Dinge keinen Namen haben.“
Cezar Borkowski
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