Bunkai & Oyo

 

Bunkai & Oyo

 

  

Ich liebe dieses Zeitalter! Natürlich gibt es einige Dinge, die „früher natürlich besser waren“, aber für interessierte Kampfkünstler ist es die goldene Zeit. Nie war es einfacher sich Wissen anzueignen. Alte Barrieren und Geheimniskrämerei gehören der Vergangenheit an, es gibt unzählige gute Bücher zu jedem erdenklichen Thema, im Internet wimmelt es von Tutorials und anderen Videos, und auch eine Reise zu den Meistern in Japan und Okinawa ist einfacher geworden, als es noch in den 90ern der Fall war.

 

Trotz all der Vorzüge, die diese „new knowledge“ Zeit mit sich bringt, stoße ich regelmäßig an meine Grenzen. Grenzen vor allem dann, wenn in den meisten Quellen Halbwissen verbreitet wird, und sich dieses auch noch etabliert. Teilweise geht es sogar in den Sprachgebrauch einer ganzen Generation über. So verhält es sich zum Beispiel mit dem Bunkai. Kein Mensch spricht heute noch von „Anwendungen“, nein Bunkai ist das geflügelte Wort. Und auch ich muss mich dem zähneknirschend beugen, denn wenn ich Oyo sage, schauen mich die Teilnehmer meiner Seminare kariert an. Aber es geht noch schlimmer, doch zuerst widmen wir uns der Bedeutung dieser beiden Begriffe. 

 

Die Kanji für Bunkai (分解) geben uns ein klares Bild. Laut jisho.org, einer bekannten online Übersetzungsplattform, bedeuten diese Kanji „Analyse“ oder auch „Zerlegung“. Das bedeutet, das Bunkai in Hinblick auf die Bewegungen aus den Kata eine Zerlegung der Kata in einzelne Segmente (einzelne Techniken oder später auch in einzelne Kombinationen) und deren Analyse darstellt. Dies ist die Grundlage für das, was im nächsten Schritte folgt, nämlich die Anwendung.

 

Und genau das ist Oyo (応用), welches laut Jisho die Anwendung bzw. etwas zur Anwendung bringen (wie zum Beispiel bei „angewandter Physik“) bedeutet. 

 

Nachdem wir nun die eigentliche Wortbedeutung geklärt haben, kommen wir zum eigentlichen Grund dieses Artikels. Wir denken nur an die Anwendung, also das Oyo, verzichten aber im Vorfeld ganz oder Teilweise auf Schritt 1: Die Analyse. Es ist doch sehr viel einfacher, sich einen Video von Iain Abernathy anzusehen, und das gezeigte nachzumachen!

 

(Anm.: Ich bin ein großer Fan von Iain, und schätze seine Arbeit sehr!) 

 

Stattdessen sollten wir unsere eigene Analyse betreiben, und zwar auf eine beinahe wissenschaftliche und genaue Art und Weise! Wir sollten, bevor wir uns einer komplexen Kombination aus einer Kata zuwenden, zuerst einmal ALLE Bestandteile einer einzelnen Technik analysieren, und daraus sämtliche Einsatzmöglichkeiten dieser Technik ableiten. 

 

Wir alle haben schon einmal den Satz gehört „Ein Block ist ein Schlag, ein Schlag ist ein Block“. Von dieser Aussage ausgehend, habe ich mich bereits vor vielen Jahren gefragt, was denn ein Schlag oder ein Block noch so alles sein könnten. Daher habe ich mein Bunkai auf jede erdenkliche Einsatzmöglichkeit ausgedehnt, und betreibe dies auch heute noch so. Um es zu vereinfachen zeige ich hier mein „Basis Raster“, mit dem ich an eine solche Analyse herangehe. Dabei geht die Frage voraus, welche Techniken es überhaupt gibt. Der Einfachheit halber habe ich mich für dieses Grundmuster entschieden, auch wenn es natürlich noch weitere Ansätze gibt: 

 

1.    Atemi Waza - Schlag- bzw. „Perkussionstechniken“

 

2.    Uke Waza - Techniken um einen Gegnerischen Angriff anzunehmen, allgemein leider als Blocktechniken bekannt

 

3.    Kansetsu Waza - Techniken der Gelenkmanipulation, oder auch Hebeltechniken

 

4.    Nage Waza - Wurftechniken, zu denen ich auch Techniken zum Brechen der Gegnerischen Balance zähle (Kuzushi)

 

5.    Shime Waza - Würgetechniken, bei welchen ich sogenannte „Blutwürger“ den „Luftwürgern“ vorziehe 

 

Weitere Möglichkeiten wären z.B. Das mit einbeziehen von Entwaffnungstechniken oder strategischen Manövern wie Ausweichen oder Antäuschen. 

 

Bei dieser Analyse beziehe ich mich nicht nur auf die offensichtlichen Techniken, sondern gleichermaßen auch auf die in der Kata verwendeten Stellung. Auch diese sind nicht grundlos in den Kata vorhanden, also bedarf es auch ihrer Analyse!! 

 

Um deutlich zu machen, wie ich das oben genannte Schema umsetze, habe ich bei einem unserer letzten Privatstunden mit einige meiner Dan Träger ein kleines Video erstellt. Dabei geht es um einfache Anwendungsbeispiele eines gerade Fauststoßes (Tsuki), bei dem versucht wird, die fünf oben genannten Elemente zu erfüllen. Viel Spaß beim Ausprobieren ;-) 

 

Link zum Video

Kommentar schreiben

Kommentare: 0