Road Map Theorie
Wenn es um die Entschlüsselung der verschiedenen Kata geht, hat sicherlich jeder erfahrene Karate Ka seine eigene Idee. Was heute allgemein als Bunkai bezeichnet wird, war bis vor wenigen Jahren im Westen völlig unbekannt. Doch heute ist der Begriff bekannt, und hat sich, wenn an sich auch falsch verwendet, als Anwendung der Bewegungen aus einer Kata durchgesetzt.
Bei der Analyse der Kata (denn das ist es, was Bunkai eigentlich bezeichnet), geht es mir persönlich primär um das Erkennen von gemeinsamen Mustern. So können ähnlich Bewegungen leicht erkannt und verstanden werden. Um meinen Schülern das Erkennen solcher Muster zu erleichtern, habe ich verschiedene Theorien übernommen oder entwickelt, um ihre Lernprozesse so zu optimieren. Viele davon habe ich in meinem Buch „Functional Karate“ eingehend erklärt, und führe diese auch in meinem E-Learning Programm detaillierter aus.
Eine dieser Theorien nenne ich die „Road Map Theorie“ (Landkarten Theorie). Dabei geht es um folgendes:
Bei genauer Betrachtung der Kata stellt man oft fest, dass unterschiedliche Stile / Dojo bestimmte Bewegungen anders / unterschiedlich ausführen. Oftmals wird diese andere Ausführung dann als falsch abgetan, da man den Grund für dieses anders sein weder kennt noch versteht. Interessant ist allerdings, dass trotz des anderen Weges in eine bestimmte Position die Endposition an sich meist die gleiche ist. So gibt es beispielsweise eine beinahe unendliche Anzahl einen Shuto Uke auszuführen, aber am Ende der Bewegung sind die Händ mehr oder weniger in der selben Position.
Mit genau diesem Punkt beschäftigt sich die Road Map Theorie. Wenn es viele unterschiedliche Wege an ein bestimmtes Ziel gibt, sollte man sich vielleicht mehr mit dem Ziel selbst beschäftigen.
Stellen wir uns vor wir müssten einem Fremden den Weg zur nächsten Tankstelle beschreiben. Dabei würden wir uns an markanten Punkten orientieren, und Dinge sagen wie „an der dritten Ampel links abbiegen“ oder „nach dem McDonalds rechts“. Den Weg dazwischen bezeichnen wir gerne als „immer geradeaus“. Dabei spielt es keine große Rolle, dass der Weg dahin überhaupt nicht gerade ist, und man vielleicht sogar einige Kurven fahren muss, oder um Hindernisse wie parkende Autos herum manövrieren soll.
Ganz ähnlich können wir im ersten Schritt bei der Analyse von Bewegungen innerhalb einer Kata vorgehen. Die „Endpositionen“ sind dabei die markanten, leicht wiedererkennbaren Punkte auf dem Weg zum Ziel. Der Weg dahin ist letztlich eine Frage des persönlichen „Fahrstils“.
Natürlich weiß ich, dass diese Theorie eine gewisse Schwachstelle birgt, da in den meisten Ryu Ha eine konkrete Art der Ausführung einer Bewegung strikt vorgegeben wird. Aber lasst uns nicht vergessen, dass Bunkai Analyse bedeutet. In diesem Sinne sollten wir also zuerst alle möglichen Abläufe in Betracht ziehen, besonders dann, wenn wir für die in unserem Stil gewöhnlich angewandte Bewegung zu keiner vernünftigen Anwendung führen.
Achtung! Damit will ich nicht sagen, dass wir Bewegungen nach Belieben verändern oder austauschen sollen. Im Gegenteil! Dennoch sollte uns bewusst sein, dass auch in unserem Stil eine Bewegung nur ein persönliches Muster unserer Lehrer ist.